Lange Zeit galt Deutschland als vorbildliche Demokratie, die aus ihrer NS-Vergangenheit gelernt hat. Als ein offenes, tolerantes, friedliches Land. Das Bild trügt wohl, leider. Denn rechtspopulistische Parteien feiern reihenweise Wahlerfolg, jüdische Kindergärten und Synagogen müssen von der Polizei bewacht werden, und seit dem Krieg im Gazastreifen schießt die Zahl antisemitischer Vorfälle in die Höhe. Wie ist das, als junger Jude in Deutschland zu leben? Als Vertreter einer religiösen Minderheit, deren historisches Schicksal das zwischen Integration und Vertreibung, zwischen Anerkennung und Ablehnung zu sein scheint?
David Kor trat im Juni 2024 vor Klassen der Jahrgänge 7 und 11 auf, um darüber zu berichten.
Geboren in St. Petersburg, zog er mit den Eltern nach Korbach, wo er an der ALS 2019 sein Abitur bestand. Der jetzige Bauingenieurs-Student möchte sein Jüdisch-Sein auch in schwierigen Zeiten nicht verstecken oder verschleiern. Er berichtete von antisemitischen Vorfällen in seinem Freundeskreis. Und auch er überlegt, nach Israel auszuwandern, weil er diesem Land, das Freiheit und Sicherheit gewährleisten könne, sehr verbunden ist. Schließlich könne sich auch in Deutschland in kurzer Zeit viel verändern, auch zum Schlechten. Seine Familie habe Wurzeln in vielen Teilen Europas, daher sei er nicht an einen bestimmten Ort gebunden, die „base“, also die Heimat sei da, wo die Familie lebe.
Er berichtete über das Leid junger israelischer Soldaten im Gazakrieg, aber auch von arabischen Israelis, die aus Angst mit ihren Kindern Hebräisch sprechen, weil sie um ihr Leben fürchten. Er lehnt einseitige Schuldzuweisungen an Israel ab und verweist darauf, dass es in diesem Land selbst viel Kritik an der Regierung gebe. Er wünschte sich viel mehr Hilfe der arabischen Nachbarstatten für die Palästinenser, die doch eine Perspektive brauchten, kann sich aber eine Zweistaatenlösung kaum vorstellen. Ohne westliche Waffenlieferungen sieht er Israel in seiner Existenz bedroht.
Am Hals trägt er ein Medaillon mit der Aufschrift „Bring them home“. Gemeint sind die israelischen Geiseln, die die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 mit in den Gazastreifen verschleppte. „Wir sollten doch alle Menschen bleiben. Wir wollen alle Frieden und miteinander klarkommen – und nicht einander umbringen“, schließt er. Und spricht damit aus, was wohl viele denken, etwas, von dem im Moment aber kaum jemand weiß, wie das Ziel zu erreichen ist.
Johannes Grötecke